Wer wird Wörter-Millionär?

Zwei Millionen Wörter mehr pro Jahr können einem Kind mit Hörverlust den entscheidenden Input für eine optimale Entwicklung liefern. Hörakustiker spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Zwei Millionen! Das ist eine wirklich große Zahl. Wenn ich beispielsweise morgen zwei Millionen Dollar erben würde, dann würde das mein ganzes Leben verändern.

Aber: Sind zwei Millionen auch so lebensverändernd, wenn es um die Anzahl von Wörtern geht? Genau genommen die Anzahl von Wörtern, die ein Kind hören und verstehen kann, dessen Gehirn mitten im Wachstum steckt. Ich kann Ihnen eines verraten: Sie werden diese Frage mit einem lauten Ja beantworten, nachdem Sie diesen Artikel zu Ende gelesen haben.

Es ist bereits bekannt, dass Schulkinder mit Hörverlust im Unterricht Sprache besser verstehen, wenn sie ein kabelloses Mikrofonsystem wie Roger verwenden. Forscher der Vanderbilt University in Nashville (USA), untersuchten vor kurzem, ob auch Kinder, die noch nicht zur Schule gehen, von einem solchen Mikrofonsystem profitieren können.

Mehr Wörter für das wachsende Gehirn

Was die Forscher herausfanden: Vorschulkinder, die zu Hause ein Roger-System verwendeten, hatten pro Tag zu fast 5.300 Wörtern mehr Zugang als beim alleinigen Tragen von Hörgeräten (ohne Roger)! Ich habe das einmal nachgerechnet: Das bedeutet, dass Kinder im Vorschulalter in einem Jahr, in dem sie Roger täglich zu Hause benutzen, bis zu zwei Millionen zusätzlichen Wörtern ausgesetzt werden!

Klingt beeindruckend, doch was bedeutet das genau für das wachsende Gehirn eines Kindes? In ihrem Artikel im Journal of Speech, Language and Hearing Research heben die Forscher ein paar wichtige Punkte hervor:

  • Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Anzahl der Wörter, denen Kinder ausgesetzt sind, und ihrem späteren Wortschatz.
  • Dauerhafter Zugang zu qualitativ hochwertigem Sprachinput ist für die Sprachentwicklung von entscheidender Bedeutung.
  • Zusätzliche Sprachexposition bedeutet mehr Gelegenheiten, Sprache zu erlernen.
  • Es hat sich gezeigt, dass es einen bedeutenden Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten, Sprachkenntnisse und Schulleistungen von Kindern hat, welcher Anzahl von Wörtern sie ausgesetzt sind.

Mehr Wörter = bessere Chancen

Hart und Risley veröffentlichten 1995 eine wegweisende Studie, die den Zusammenhang zwischen Sprachexposition und Kindesentwicklung untersuchte. Sie fanden heraus, dass normal hörende Kinder, die bis zu ihrem vierten Geburtstag 45 Millionen Wörter gehört hatten, bei Schuleintritt besser vorbereitet waren als ihre Altersgenossen, die aus spracharmen Umfeldern kamen. Als diese Kinder in die dritte Klasse kamen, hatten sie zudem ein umfangreicheres Vokabular, konnten besser lesen und erhielten bessere Noten.1

Wir wissen, dass das Hören über Distanz und in geräuschvollen Umgebungen für Kinder mit Hörverlust eine Herausforderung ist. Es ist auch bekannt, dass in solch schwierigen Hörsituationen ein kabelloses Mikrofonsystem die effektivste Hörtechnologie ist. Es scheint also nur logisch, dass ein solches System ebenso die Sprachexposition eines Kindes verbessern kann, lange bevor es alt genug für die Schule ist.

Weiter weg und doch ganz nah

Die Forscher der Vanderbilt University haben interessanterweise nicht nur festgestellt, dass Kinder mit einem Mikrofonsystem besser hören. Ihre Untersuchungen ergaben auch, dass Bezugspersonen bei Verwendung eines solchen Systems öfter aus der Distanz, also mit mehr als 2,5 m Abstand, mit den Kindern sprechen. Die  Bezugspersonen zeigen ein natürlicheres Sprachverhalten und kommunizieren eher so, wie sie mit Kindern sprechen würden, die keinen Hörverlust haben. Wahrscheinlich trauen sie sich auch eher, über Entfernung zu sprechen, weil sie wissen, dass die Kinder sie verstehen.

Ein anderer Mensch – dank Mikrofonsystem

Und es wird noch besser: Die Befragung der Bezugspersonen ergab, dass sie ein viel besseres Hörverhalten bei den Kindern wahrnehmen, insbesondere in lauten Umgebungen und beim Sprechen über Distanz. Familien berichteten, dass Kinder unter Verwendung des Mikrofonsystems schneller reagieren sowie aufmerksamer und besser am Familienleben beteiligt sind.

Sie als Hörakustiker spielen hier eine wichtige Schlüsselrolle: Sie können die Verwendung eines Mikrofonsystems wie Roger empfehlen und Kleinkindern damit den Zugang zu bis zu zwei Millionen zusätzlichen Wörtern ermöglichen.

Erkenntnisse, die Leben verändern können

Mir als Sprachpathologin ist es sehr wichtig, diese Forschungsergebnisse weiter zu geben. Wir wissen, dass diese Millionen von zusätzlichen Wörtern für unsere Kleinen den großen Unterschied machen. Denn sie bilden die Grundlage, die Kinder für künftiges Lernen und ihren Erfolg im Leben benötigen. Und wenn Eltern in Ihr Geschäft kommen und begeistert von dem neuen Verhalten ihrer Kinder erzählen, dann können Sie sich sicher sein, dass Sie etwas bewirkt haben – zwei Millionen ist eben doch eine (Wörter-)Zahl, die Leben verändern kann!

Vom 16. bis 18. Mai 2019 findet in München die 6. Europäische Phonak Pädakustik-Konferenz statt. Internationale Experten  präsentieren in zahlreichen Vorträgen aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der Pädaudiologie.  Alle Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.

 

1 Hart, B. & Risley, T. (1995). Meaningful differences in the everyday experience of young American children. Baltimore, MD: Paul H. Brookes Publishing.