Ich bin an Taubheit grenzend schwerhörig

Ein Einblick in den Alltag einer schwerhörigen Person

Ich bin an Taubheit grenzend schwerhörig. Mit meiner Familie und Freunden spreche ich offen über meine Schwerhörigkeit. In diesen Gesprächen habe ich immer wieder festgestellt, dass auch meine engsten Freunde sich meine Schwierigkeiten nicht mal annähernd vorstellen konnten. Deswegen möchte ich mehr Verständnis und Toleranz für alle Nichthörenden bewirken. Und ich möchte auch aufzeigen, welche sozialen und finanziellen Schwierigkeiten dieses Handicap mit sich bringen kann. Deswegen stelle ich hier meinen Alltag vor.

Ich wurde mit einer irreparablen Hörnerv-Schädigung geboren, das heißt, ohne Hörgeräte höre ich nichts. Während die Hörenden morgens ihren Wecker hören, werde ich von einer sehr teuren Blitzlampe geweckt. Ich kann nicht mit den Hörgeräten schlafen, weil sie nachts in einem Trocknungsgerät liegen müssen. Das bedeutet, dass ich nachts nichts hören kann. Kein Telefon, keine Türklingel, keinen Rauchmelder und dergleichen. Ich bin nachts auf meine anderen, intakten Sinne angewiesen bzw. auf eine andere Person. Nach dem Erwachen ist mein erstes Handeln der Griff nach den Hörgeräten. Sofort ist mein Gehör mit Geräuschen angefüllt, die ich erst einmal sortieren und verarbeiten muss.

Ich lese sehr viel von den Lippen ab. Sehe ich die Person, mit der ich spreche, nicht an oder spricht diese Person in eine andere Richtung, muss ich jeden Satz analysieren, um die gesprochenen Worte richtig zu interpretieren. Beim Telefonieren schließe ich meine Augen, um mich auf das Hören und Sprachverstehen zu konzentrieren. Jedes Nebengeräusch stört meine Konzentration und ist unter Umständen lauter als die Stimme im Telefon. Kritisch wird es allerdings, wenn der Gesprächspartner sehr leise oder einen Dialekt spricht.

Auf meiner Dienststelle habe ich ein Einzelbüro, das es mir ermöglicht, die Vielzahl an Telefonaten ohne Nebengeräusche erledigen zu können. Funk, Tonbandaufnahmen, Anrufbeantworter stellen für mich ein sehr großes Problem da. In technischen Stimmen sind Betonungen und Emotionen schwer zu erkennen. Auch klingt es für mich sehr verzerrt.

Ich kann bei Stimmen lediglich unterscheiden, ob sie männlich oder weiblich sind. Es ist mir nicht möglich, die Stimmen meiner Familie oder Freunde zu erkennen.

Jeder, der mich kennt würde jetzt sagen, man merkt es dir nicht an, dass du dich anstrengen musst. Ja klar, ich trainiere auch schon mein Leben lang. Jeder Tag ist eine neue Herausforderung für mich. In der gewohnten Umgebung fühle ich mich wohl und frage ggf. zweimal oder dreimal nach, wenn ich etwas akustisch nicht verstanden habe. Diesen Spruch, den ich immer wieder von manchen zu hören bekomme: „Schalte doch einfach mal die Hörgeräte ein, dann kannst du mich auch verstehen.“ Ja klar, ich schalte einfach die Geräte aus, während ich mich mit dir unterhalte, denke ich mir dann immer. Ich hasse diesen Spruch abgrundtief und er hat mich früher immer sehr verletzt.

Alle sechs Jahre brauche ich neue Hörgeräte. Nach den sechs Jahren fängt für mich wieder eine Zeit des Grauen an. Ich muss das Hören bzw. die Geräusche und Töne wieder neu erlernen und bei mir abspeichern. Ich probiere immer wieder verschiedene Hörgeräte für ein paar Wochen aus und jedes Mal ist alles anders. Und ich muss mich alleine entscheiden, welche für mich am geeignetsten im Beruf und Alltag sind. In dieser Zeit liegen bei mir die Nerven blank, ich breche manches Mal in Tränen aus, weil es einfach zu anstrengend ist, den ganzen Tag so hochkonzentriert sein zu müssen. In dieser Zeit müssen auch meine Familie und Freunde mitleiden, da ich kaum belastbar und aufs Äußerste gereizt bin.

Die Geräte waren schon immer sehr teuer und ich habe das Gefühl, sie werden immer teurer. Meine neuen Geräte kosten aufgerundet 5000,- Euro. Und das sind noch nicht einmal die „Ferraris“ unter den Geräten. Davon bezahlt die Krankenkasse ca. 2000,- Euro. Die restlichen Kosten muss ich selber tragen. Die Krankenkasse ist der Auffassung, dass für den Rest die Rentenversicherung zuständig ist. Also habe ich einen Antrag auf Übernahme der Kosten für ein Hörgerät als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Deutschen Rentenversicherung gestellt.

Die Antwort: Ein berufsspezifischer Mehrbedarf liegt in meinem Fall nicht vor. Vielmehr ist die RV der Auffassung, dass die Erbringung der Leistung zu den medizinischen Aufgaben der Krankenversicherung gehört.

Daraufhin die Antwort der Krankenkasse: Das eigenanteilsfreie Hörsystem muss zur Kompensation des individuellen Hörverlust geeignet sein und einen angemessenen Ausgleich der Hörbehinderung im Rahmen der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens sicherstellen.

Meine gesamten Unterlagen wurden seitens der Krankenkasse an einen Facharzt des Medizinischen Dienstes mit der Bitte um Beurteilung weitergeleitet. Dieser Facharzt hat anhand der Unterlagen, OHNE ein persönliches Gespräch oder Untersuchung, meine Schwerhörigkeit beiderseits bestätigt, die aber mit einer Versorgung nach Festbeträgen sehr gut auszugleichen sind.

Der Schlusssatz der Krankenkasse: Da es sich um einen berufsbedingten Mehraufwand handelt, ist die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers gegeben.

Diese Entscheidungen haben, so denke ich mir, Hörende getroffen. Hörende, die sich nicht in die Lage eines Nichthörenden hineinversetzen können. Ohne diese Hörgeräte wäre ich nicht in der Lage überhaupt einen Beruf auszuüben.

Fazit für mich: Würde ich die Geräte ausschließlich für die Ausübung meines Berufes nutzen würde ich sie bezahlt bekommen. Privat ist es mir nicht vergönnt, einen normalen Alltag zu erleben und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Ich habe es mir nicht ausgesucht an Taubheit grenzend schwerhörig zu sein, noch habe ich diese Schwerhörigkeit selbst verschuldet.

Mit 5 Jahren habe ich meine ersten Hörgeräte bekommen. Meine Eltern haben unermüdlich, jeden Tag versucht, mir das (flüssige) Sprechen beizubringen, wozu damals ein Logopäde nicht in der Lage war.
Sie haben zusammen mit meinem Akustiker und dem Rektor der Grundschule mit allen Mitteln gegen das Schulamt gekämpft und dafür gesorgt, dass ich, mit Hilfsmitteln, eine normale Schule besuchen und eine normale, kaufmännische Ausbildung machen konnte. Ohne ihre Fürsorge, ihren unermüdlichen Kampf gegen alle Widrigkeiten, ihren Schubs in die Selbstständigkeit, wäre ich heute nicht in der Lage meinen Alltag alleine zu bewältigen, geschweige denn einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Ich habe meinen Eltern unendlich viel zu verdanken!

Es ist davon auszugehen, dass ich, ohne die Unterstützung meiner Eltern, ganz überwiegend Vater Staat „auf der Tasche liegen“ würde. Denn Menschen mit Behinderung, die keine familiäre Unterstützung erfahren, werden in unserem Land ausgezeichnet versorgt.

Es entspricht nicht dem Gleichbehandlungsprinzip, wenn behinderte Menschen in stationären Einrichtungen es prinzipiell einfacher haben, die Rechte als behinderter Mensch wahrzunehmen, als jemand, der aus eigener Kraft im privaten Umfeld um die gleichen Rechte kämpfen muss.

Schwerhörigkeit kann Jeden treffen, ob durch Krankheit oder mit zunehmendem Alter. Deswegen bin ich der Meinung, dass es wichtig ist, auf die Hürden von Hörgeräte-Trägern aufmerksam zu machen und Bewusstsein für das Thema zu verschaffen. Ich hoffe ich konnte mit diesem kleinen Einblick in meinen Alltag dazu beitragen.

 

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Kommentare

9 Kommentare zu “Ich bin an Taubheit grenzend schwerhörig

  1. Britta Görg ist mir sehr nahe, ich kenne sie seit vielen Jahren, wir haben uns oft über ihre Schwerhörigkeit unterhalten und ich kenne ihre Schwierigkeiten im Alltag.
    Das Problem in unserer Gesellschaft ist, dass Behinderung nicht gleich Behinderung ist, dem Gesetz nach ja, in der Realität nein!
    Schwerhörige Menschen neigen eher dazu, sich diskret zu verhalten, unauffällig zu sein, fallen deswegen nicht unbedingt und sofort auf, während eine Behinderung bei einem verhaltensauffälligen Menschen erkannt und akzeptiert wird, z.B. körperliche oder geistige Behinderung, aber auch psychische Erkrankungen oder Suchterkrankungen.
    Fakt ist, dass Britta Görg ohne ihre Eltern nicht diese selbständige Person wäre, die sie heute ist.
    Ich unterstütze sie weiterhin in dem mir möglichen Rahmen!

  2. Das geht meinem Vater auch so und das ist wirklich sehr schwierig. Danke fürs Teilen, ich finde es wichtig, dass Menschen davon erfahren. Hörgeräte sind eine gute Lösung, Sympathie auch.

  3. Mein Kollege leidet nach Jahren der Maschinenarbeit an Hörverlust und geht zu einer Beratung. Er sagte, dass er mit einem Hörgerät mehr hören kann. Allerdings schreitet der Hörverlust voran und so wird auch er bald nichts mehr hören können. Ihm sagt man auch oft, dass er sich anstrengen muss.

  4. Mir geht es ganz genauso. Hatte mit Anfang 30 schon meinen 1. Hörsturz, dann 7 Jahre später den 2. – natürlich auf dem bis dahin intakten Ohr. Seitdem noch viele Male und höre jetzt – 70 Jahren nur noch 15%. Die Reaktionen mancher Freunde kommt mir sehr bekannt vor. Habe Kassengeräte, die zwar ganz okay sind, aber bei weitem nicht optimal. Den o.e. Eigenanteil kann ich mir nicht leisten. Allerdings meinte der Akustiker, dass teurere Geräte mir nicht helfen würden. Allein verreisen geht gar nicht mehr da ich Lautsprecherdurchsagen nicht verstehe. Ich kann alles o.e. gut nachvollziehen. Leider steht uns dieses Handicap nicht auf der Stirn geschrieben. Aber – wir halten durch. Es gibt immer noch gute Freunde, die es akzeptieren.

  5. Ja, der Verfasser beschreibt die gleichen Erfahrungen, die ich auch gemacht habe bzw. immer noch mache. Normalhörende können sich Schwerhörigkeit, insbesondere wenn sie stärker ausfällt, einfach nicht vorstellen. Die Folge davon ist dann das Abschieben von Zuständigkeit bei Kranken- und Rentenversicherung. Die Versicherungsbeiträge werden jedoch ohne Bedenken einkassiert, das Finanzamt gewährt aufgrund des Schwerbehindertenausweises einen kleinen Freibetrag.
    Da meine jetzt auch sechs Jahre alten Naidas noch gut funktionieren, werde ich mir mit der Suche nach neuen Hörgeräten Zeit lassen. Den Ärger mit der Krankenversicherung brauche ich jetzt schon wieder, immerhin hat es das letzte Mal zwei Jahre gedauert, bis alles geregelt war (Gerichte arbeiten nicht sehr schnell). Auch hat das von der Krankenkasse erzwungene Testen von offenkundig ungeeigneten Kassengeräten ordentlich Nerven gekostet.

  6. Der Bericht kommt mir sehr bekannt vor. Ich werde wohl bald mein zweites Hörgerät bekommen den nun höre ich so gut wie nichts mehr auf dem einen und auf dem anderen nur noch etwa 30%. Meinen Job musste ich schon vor acht Jahren aufgeben den ein Bariton an der Oper sollte sich selber hören können und alle anderen auch.

  7. Genau Sie treffen auf den Punkt! Ich bin nun schon 76 Jahr und muss noch weiter kämpfen um ein ein Hörgerät ohne Zuzahlung zu erhalten, welches meinen Hörverlust bestmöglich ausgleicht!
    Beste Grüße
    aus Kiel DIETER Thomsen

  8. Hallo, bin hochgradig schwerhörig beidseitig, rechts Seite trage ich ein CI, wohne in Grebenstein (Landkreis Kassel, ca. 20 km nördl. von Kassel entfernt.). Linke Seite trage ich PHONAK-Hörgerät…

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