Hörtests zwischen Hühnern und Geckos

Nadja Laible, audiologische Produkttrainerin bei Phonak, reiste für die Hear the World Foundation nach Haiti, um vor Ort Kindern mit Hörverlust zu helfen – ein Reisebericht.

Schon seit meinen ersten Stunden bei Phonak war es mein Wunsch, mit der Hear the World Foundation auf Reisen zu gehen und hilfsbedürftigen Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen. Die Stiftung wurde 2006 von Phonak gegründet und unterstützt insbesondere Kinder mit Hörverlust. Im März 2018 war es dann endlich so weit: Ich bekam eine Zusage auf meine Bewerbung für ein Hilfsprojekt in Haiti!

Am 10. Mai 2018 machte ich mich also mit 15 Moskitonetzen und einer Mischung aus Freude und Aufregung im Gepäck auf den Weg nach Frankfurt an den Flughafen. Von dort ging es zunächst nach Miami, wo ich die restlichen Kollegen traf, mit denen ich die nächsten acht Tage in einem fremden Land mit komplett anderer Kultur verbringen durfte. Von Miami aus flogen wir gemeinsam zwei Stunden nach Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti – einem der vier ärmsten Länder der Welt.

Die ersten Tage blieben wir in der Hauptstadt und brachten einer Gruppe Kinderkrankenschwestern bei, Hörscreenings und Hörtests bei Babys und Kleinkindern durchzuführen. Mein Wissen gleich so direkt weiterzugeben war ein toller Einstieg!

Anschließend machten wir uns auf nach Hinche, einer Stadt im Landesinneren, fünf Stunden Autofahrt entfernt. Die Reise dorthin war mehr als abenteuerlich: Aufgrund der Regensaison stand das Wasser in den fünf Flüssen, die wir – natürlich! – ohne Brücke durchqueren mussten, sehr hoch. Zeitweise war nicht ganz klar, ob wir einen der Flüsse überhaupt passieren konnten: Ein aufregender Trip fürs ganze Team!

In Hinche angekommen wurden wir mit offenen Armen von Lehrern, Eltern, Freiwilligen und vielen Neugierigen empfangen. In kleinen Bungalows mit Bastdächern, die normalerweise als Klassenzimmer dienen, haben wir unsere Stationen aufgebaut. Vor den Toren wurde unterdessen die Schlange von Menschen, die zu uns wollten, immer länger. Viele Eltern warteten mit ihren Kindern stundenlang geduldig in der prallen Sonne, nur in der Hoffnung, dass wir ihren Kindern eine kurze Zeit lang unsere Aufmerksamkeit schenken. Eine Familie ist zum Beispiel vier Stunden zu Fuß durch den Dschungel gelaufen, nur damit wir ihr Kind untersuchen. Was außerdem total rührend war: Die Eltern haben ihre Kinder extra für uns gebadet und in ihre schönsten Kleider gesteckt. Und trotzdem merkte man: Viele der wartenden Kinder waren krank und unterernährt.

Als wir den Kindern in die Ohren schauten und diese reinigten, entdeckten wir so einiges: Oft waren kleine Haarspangen darin zu finden, teilweise aber auch Entzündungen oder Krankheiten. Was für mich die größte Herausforderung war? Das Vertrauen der Kinder zu gewinnen. Immerhin sprachen wir eine ganz andere Sprache und hatten eine andere Hautfarbe. Mit etwas Geduld und Einfühlungsvermögen hat es aber immer geklappt. Was für ein unglaubliches Gefühl es ist, wenn ein Kind einem nach langer Zeit endlich vertraut oder einen am Ende auch noch in den Arm nimmt! Ein Kind, das außer seiner Familie und dem Leben nichts besitzt, aber glücklich ist und Dich anstrahlt.

Zwei Tage lang haben wir bei tropischer Hitze mehr als zehn Stunden am Tag so viele Kinder wie möglich untersucht und versorgt. Und das alles zwischen Hühnern, neonfarbigen Geckos und der atemberaubenden Schönheit der Natur. Es war anstrengend, und ich glaube, jeder von uns kam an seine Grenzen – und dennoch war es das Schönste, was ich je getan habe!

Den letzten Tag verbrachten wir in der Haiti Deaf Academy in Port-au-Prince. In dem Kinderheim sind viele Kinder bereits mit Hörsystemen versorgt. Hier machten wir uns daran, das Gehör der Kinder zu überprüfen, die Hörsysteme zu reinigen und diese zu warten. Eine Szene, an die ich mich noch besonders gut erinnere: Ein Junge war ganz angetan von meinen Adern. Da ich sehr helle Haut habe, sind diese besonders gut zu sehen. Stundenlang ist er mit seinen kleinen Fingern an meinen Armen die Adern abgefahren. Ein weiterer Gänsehautmoment: Ein junges Mädchen hat an diesem Tag das erste Mal in ihrem Leben ihre eigene Stimme und die anderer gehört. Nie werde ich den glücklichen Ausdruck in ihrem Gesicht und die Tränen in ihren Augen vergessen!

Für mich war es – und ist es immer noch – eine große Ehre, bei dieser Reise dabei gewesen zu sein. Vielen Dank an Hear the World!