Die digitale Transformation in der Audiologie

Vergleichbare Branchen haben uns gezeigt: Ist man offen und flexibel, bietet die digitale Transformation große Chancen.

„Werde ich noch gebraucht? Wird es meinen Job überhaupt noch geben? Und was passiert mit dem Datenschutz?“

In den letzten vier Jahren bin ich in der Welt herumgereist und habe von der digitalen Transformation in der Audiologie erzählt. Die oben stehenden Fragen bekam ich ständig gestellt, egal ob von deutschen, französischen, britischen, brasilianischen, US-amerikanischen, kanadischen oder Hörakustikern in anderen Ländern.

Ich kann die Zukunft nicht voraussehen, aber wir können uns andere Branchen ansehen, uns mit ihnen vergleichen und versuchen, die Gründe für den Wandel im Allgemeinen zu verstehen. Und letztendlich können wir neue Akteure auf dem Markt beobachten, die aus einer anderen Sparte wie etwa der Unterhaltungselektronik in unsere Branche einsteigen.

Megatrend und Treiber

Fakt ist, dass die digitale Transformation ein Megatrend ist. Doch was genau versteht man unter digitaler Transformation? Sie ist mehr als eine App oder Website. Die digitale Transformation bezeichnet die Veränderung ganzer Wertschöpfungsketten, Geschäftsprozesse, Produkte und Dienstleistungen durch neue Technologien. Ein Paradebeispiel ist die Buchungsplattform AirBnB, die das Hotelgeschäft gehörig durcheinander gebracht hat. Ein weiteres der Fahrdienst Uber, der die Taxi-Branche aufmischt. Und nicht zuletzt Amazon, was das Buchgeschäft beinahe zum Erliegen brachte und mittlerweile allen Einzelhandelsgeschäften zur Bedrohung geworden ist.

Wie das möglich ist? Sehen wir uns den Fall von AirBnB einmal genauer an. AirBnB ist eine Web-Plattform, die Anbieter von Zimmern, Wohnungen und Häusern mit Verbrauchern in Verbindung bringt und so eine Alternative zum Hotel bietet. In den letzten Jahren hat sich daraus ein innovatives  Geschäftsmodell entwickelt, das durch neue Technologien (Websites/Apps) überhaupt erst möglich wurde, von Kostendruck (steigende Hotelpreise, Immobilienkrise im Jahr 2008) getrieben ist und eine neue Verbrauchergeneration anspricht, die nach einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis  und Komfort suchen.

Bad Guys

„Warum machen die das? Warum gibt es da draußen solche Bad Guys?“ Es geht hier nicht um gut oder böse. Eine Marktlücke schafft einen neuen Markt. Der Anbieter, der den ungedeckten Bedarf füllen kann, wird einen neuen Markt eröffnen und diesen anführen. Gibt es keinen Markt, gibt es auch keine Käufer – und keine Verkäufer, zumindest nicht auf Dauer.

Also müssen wir anders fragen: Welche sind die unerfüllten Bedürfnisse unserer Kunden, also von Menschen mit einer Hörminderung? Könnte es sein, dass es da draußen Leute gibt, die nur deswegen keine Hörgeräte tragen, weil aktuelle Produkte und Dienstleistungen nicht ihren Erwartungen entsprechen? Ich denke ja. Ich denke sogar, dass es einige sind. Die Marktdurchdringung von Hörgeräten ist in den letzten Jahrzehnten kaum gestiegen  – und der Preis ist nicht der Hauptgrund, wie wir aus der Forschung wissen.

Neue Kunden

Wer sind sie? Es geht nicht nur um das Alter. Wir können sie Babyboomer nennen, aber es zählen auch jüngeren Generationen dazu. Unser typischer Kunde –  nennen wir ihn Alex – gehört zu einer Generation von selbstbestimmten älteren Erwachsenen, die oft noch arbeiten, ein Smartphone besitzen und wie die meisten von uns gut vernetzt sind. Er ist auf der Suche nach Komfort und möchte nicht wie eine kranke Person behandelt werden. Solche Nutzer tendieren zu alternativen Formfaktoren, aber vor allem zu alternativen Servicemodellen. Sie tendieren zu neuen Arten von Angeboten, die Lifestyle-Produkten wie Brillen oder Kopfhörern ähneln und nicht medizinischen Geräten für chronische Krankheiten. Um ehrlich zu sein: Ich bin 50 und habe bereits einen 65 dB Hörverlust bei 8kHz – mir geht es genau wie Alex.

Hearables, Apps und Co.

Wo ein ungedeckter Bedarf besteht, wird es einen über kurz oder lang einen Markt oder Anbieter geben. Alex ist der Grund, warum wir diese Diskussion überhaupt führen. Wir als Industrie fürchten Unruhe im Markt. Wir haben Angst vor all diesen Artikeln in Fachzeitschriften über neue Tech-Gadgets, die unseren Markt durcheinander bringen könnten – genau wie die Hotels AirBnB und die Taxis Uber fürchten. Nochmal: Warum gibt es einen Markt? Die digitale Transformation in der Audiologie könnte – und wird meines Erachtens – die mögliche Antwort und große Chance sein, Alex‘ unerfüllten Bedürfnissen gerecht zu werden und die Akzeptanz von Hörgeräten zu erhöhen. Sie wird das berühmte Stigma der ‚Hörhilfe‘ überwinden, denn: Wer möchte schon eine ‚Hilfe‘  tragen? Was wäre, wenn Hörgeräte und hybride Lösungen wie Apps mit einem Gerät oder neuen Servicemodellen den Markt für jüngere Nutzer zugängig machen und erweitern könnten und sie im Laufe der Zeit zu einem Hörgerät wechseln würden?

Die große Chance

Die digitale Transformation bietet eine große Chance für Hörakustiker, die keine Angst davor haben, neue Produkte und Geschäftsprozesse zu erproben, um den unerfüllten Bedürfnissen jüngerer Kunden gerecht zu werden. Es gibt dabei keinen Königsweg. Es gibt die Möglichkeit für diejenigen, die bereit sind, es zu versuchen, aus ihrem Scheitern zu lernen und letztendlich erfolgreich zu sein. Agil zu sein ist ein weiteres Phänomen der digitalen Transformation.

Veränderung ist unvermeidbar

Die digitale Transformation wird sich auch auf unsere Branche auswirken, die Frage ist nur wann und wie. Ich schlage vor, dass wir alle versuchen, Alex’ unerfüllte Bedürfnisse in Angriff zu nehmen und neue Rollen, Servicemodelle und Produkte zu schaffen, die seinen Erwartungen entgegenkommen. Idealerweise erhöhen wir so die Durchdringung von Hörgeräten und reduzieren das mit ihrer Nutzung verbundene Stigma. Ich persönlich denke, dass Betroffene durch die digitale Transformation enorme Vorteile bei technischen Lösungen und Dienstleistungen haben werden. Und ist das nicht genau der Grund, warum wir alle zu Hörakustikern und Hörgeräteherstellern wurden?

 

In den nächsten Wochen wird die Aufnahme eines kürzlichen Webinars mit Francois Julita zu diesem Thema über http://learning.phonakpro.com/ verfügbar sein. Halten Sie auch Ausschau nach dem Hashtag #eaudiologyphonak auf LinkedIn, Twitter und Facebook.