2 Millionen Stunden an nur einem Tag – im Ernst?

Wie Big-Data-Trends uns dabei helfen können, unsere Patienten besser zu verstehen.

Ich war nie ein Fan von Ergebnisauswertungen und Fragebögen in Papierform. Es ist nicht so, dass ich ihren Wert nicht sehe: Der Vergleich von individuellen Scores mit normativen Daten kann insbesondere in Beratungssituationen ein wirkungsvolles Werkzeug sein. Vielmehr fand ich den Großteil der Fragebögen für den Lebensstil meiner Kunden ungeeignet. Zum Beispiel gab es sehr wenige Situationen, in denen meine Kunden über den Klang der Sirene eines Feuerwehrautos mit und ohne Hörgeräte berichten konnten, was diese APHAB-Frage etwas schwierig zu handhaben machte. Natürlich ist die Begründung für diese und andere Fragen sicherlich vertretbar.

Die interessanteren Fragen in den Fragebögen bezogen sich für mich jedoch auf die Tragezeit von Hörgeräten. Meine Kunden hatten allerdings meist Schwierigkeiten, genau zu beziffern, ob sie ihre Hörgeräte die Hälfte oder eher ¾ der Zeit tragen. Zum Glück müssen wir uns heute nicht mehr auf die subjektive Einschätzung der Kunden verlassen: Dank digitaler Datenerfassung bekommen wir heute objektive Einblicke in diese Fragestellung gewährt.

Eine spannende Frage lautet für mich, ob wir aus solchen Daten auch ablesen können, welche Faktoren die Tragedauer beeinflussen. Wir wissen, dass die Zufriedenheit in bestimmten Hörumgebungen ein grundlegender Faktor ist, aber wir wollten herausfinden, ob es auch weniger offensichtliche Faktoren gibt. Kürzlich haben wir bei Phonak Daten von rund 500 teilnehmenden Hörakustikern ausgewertet, um herauszufinden, welche Faktoren die durchschnittliche Tragezeit pro Tag beeinflussen. Bei fast 200.000 Anpassungen beobachteten wir eine durchschnittliche tägliche Tragezeit von fast 10 Stunden, was bedeutet, dass wir über große Datenmengen, insgesamt aus 2.000.000 Stunden täglicher Nutzung, verfügen.

Bei der Analyse großer Datenmengen erfahren wir natürlich nicht das „Warum“, aber ich finde es wichtig, Big-Data-Trends mit Hörakustikern zu teilen, um sie darin zu unterstützen, den Kunden noch besser zu verstehen. Anhand unserer Daten identifizierten wir vier Haupteinflussfaktoren auf die Tragezeit: die technische Plattform, das Technologielevel, den Formfaktor und den Schwerhörigkeitsgrad. Ich werde das Leistungsniveau in meinem nächsten Blogbeitrag besprechen und mich daher nur auf die drei verbleibenden Haupteinflussfaktoren konzentrieren.

Lassen Sie uns zunächst den Schweregrad der Schwerhörigkeit betrachten. Diese Infografik zeigt, dass Kunden mit schwerem Hörverlust ihre Hörgeräte zwei Stunden länger tragen als Kunden mit leichtem Hörverlust. Ein offensichtlicher Einflussfaktor ist, dass Personen mit schwererem Hörverlust ihre Hörgeräte in mehr Situationen brauchen. So weit so logisch, aber könnten noch andere Einflussfaktoren eine Rolle spielen?

Wir haben im Rahmen der Analyse feststellen können, dass auch der Formfaktor die Tragezeit beeinflusst, aber deutlich weniger als die Schwerhörigkeit. Die gemessene Differenz betrug tatsächlich 0,4 Stunden, wobei Im-Ohr- und RIC-Hörgeräte verglichen wurden. Laut unseren Daten tragen Kunden Im-Ohr-Geräte etwas länger als RIC-Geräte. Woher das kommt? Um ehrlich zu sein, hätte ich das Gegenteil vorhergesagt und bin daher gespannt, Kommentare von anderen dazu zu lesen.

Außerdem haben wir herauslesen können, dass sich eine neuere technische Plattform positiv auf die Tragezeit auswirkt. Genauer gesagt, konnten wir eine Tragezeitdifferenz von 1,5 Stunden beobachten, als wir unsere neueste Belong-Plattform mit einer früheren aus dem Jahr 2011 verglichen. Die Gründe? Man könnte folgern, dass unsere technologischen Innovationen in einigen Hörsituationen Vorteile bringen, so dass die Hörgeräte länger getragen werden. Dies ist sicher der Fall, aber ich vermute, dass auch andere Variablen noch eine Rolle spielen.

Ich freue mich sehr, Teil dieser neuesten digitalen Transformation im Bereich Datenaustausch zu sein. Ich habe meine Karriere mit Papier-Auswertungen und -Fragebögen begonnen. Heute haben wir Zugang zu Millionen von Datenprotokollierungsstunden, um die Einflussfaktoren der Tragezeit zu untersuchen.

Der moderne Hörakustiker kann heute seine gesammelten Daten in Kombination mit seinen praktischen Erfahrungen mit anderen Patienten nutzen, um optimale Entscheidungen für seine Kunden zu treffen. Das ist doch faszinierend, oder? In nicht allzu ferner Zukunft werden diese gesammelten „normativen“ Daten und allgemeinen Trends meiner Meinung nach nicht nur Hörakustikern dabei helfen, ihre Kunden besser zu verstehen, sondern auch Orientierung auf Managementebene geben.

Mich würde interessieren, ob es etwas für Ihre Praxis verändert, dass Sie jetzt wissen, dass Ihre Patienten mit leichterem Hörverlust in der Regel weniger lang ihre Hörgeräte tragen als solche mit schwerem Hörverlust.  Bitte hinterlassen Sie gerne unten einen Kommentar.